Von R. Dreis. In den frühen Morgenstunden des 13. März 2017 hat die griechische Polizei zwei besetzte Hausprojekte in Athen geräumt. Betroffen waren die selbstverwaltete Flüchtlingsunterkunft Alkibiádou 9 und das seit 2011 besetzte Zentrum Villa Zográfou. In der westgriechischen Kleinstadt Agrínio stürmten MAT-Sondereinsatzkommandos der Polizei den besetzten anarchistischen Treffpunkt, traten Türen ein und zertrümmerten die Einrichtung. Am 15. März kappten Mitarbeiter der städtischen Wasserwerke Athens unter Polizeischutz die Wasserzufuhr des besetzten Theaters Embrós. Als «Fortsetzung der polizeilichen Erstürmung und Räumung der legendären Villa Amalías» im Dezember 2012 unter der damaligen rechten Regierung von Antónis Samarás (Néa Dimokratía, ND), bezeichnete die genossenschaftliche Athener Tageszeitung Efimerída ton Syntaktón (14.03.) die staatlichen Angriffe auf besetzte Hausprojekte.
Leider Vergangenheit: Die Villa Zográfou. Bild: Direkte Aktion
Mit wütenden Protesten, Demonstrationen, der Besetzung von Radiostationen und Brandanschlägen reagierte die anarchistische Bewegung auf die polizeilichen Angriffe und Räumungen. Im Athener Stadtteil Zográfou gingen noch am Abend des 13.03. knapp 2000 Menschen nach einem spontanen Aufruf anarchistischer und linksradikaler Gruppen auf die Strasse. Im Anschluss an die Demonstration kam es rund um die nun von Polizeitruppen besetzte Villa Zográfou zu Auseinandersetzungen mit den Repressionskräften. In den Strassen wurden Barrikaden errichtet, bei Banken die Scheiben eingeschlagen und die Polizei mit Steinen angegriffen. Die setzte ihrerseits Tränengas und Blendschockgranaten ein. Auch in den folgenden Tagen und Nächten kam es immer wieder zu Angriffen auf staatliche Institutionen, Banken und Polizeiwachen in verschiedenen griechischen Städten.
Von den 127 geräumten Geflüchteten aus der Alkibiádou Strasse 9 wurden in der Polizeiwache Pétrou Rálli, der zentralen Ausländerpolizei in Athen, die Personalien aufgenommen. Danach wurde der Grossteil von ihnen auf die Strasse gesetzt, da die Behörden keine Bleibe für sie hatten. Nur 31 Geflüchtete wurden in staatlichen Einrichtungen untergebracht. Die Räumung war laut Polizei nach Anzeige des Besitzers Rotes Kreuz erfolgt, das dort eine Unterkunft für minderjährige Flüchtlinge eröffnen will.
Der Staat plant eine «öffentliche kulturelle Nutzung» der Villa und des umliegenden Parks. Bild: anarchistnews.org
Während der kurz darauf folgenden Räumung der Villa Zográfou nahm die Polizei sieben Anwesende wegen Hausfriedensbruchs in Gewahrsam. Die in einem grossen Park liegende Villa, war seit 2011 besetzt und diente verschiedenen sozialen Bewegungen und Nachbartschaftsinitiativen der Stadtteile Zográfou, Býrona und Kaisarianí als politisches und kulturelles Zentrum. Zur Vielzahl der dort stattfindenden Aktivitäten gehörten u.a. Elterninitiativen, Film-, Theater- und Musikveranstaltungen, Antifaorganisierung, biologischer Anbau von Gemüse und politische Informationsveranstaltungen.
Die polizeiliche Erstürmung des «anarchikó stéki», des besetzten anarchistischen Treffpunkts im westgriechischen Agrínio, diente wohl vor allem der Einschüchterung. Nach Angaben der Besetzer*innen traten die Polizeieinheiten Türen ein, durchsuchten das gesamte Gebäude und zerschlugen Teile der Einrichtung bevor sie wieder abzogen. In ihrer Erklärung auf indymedia athens wird zudem der polizeiliche Diebstahl von 600 Euro, die für Gerichtskosten eines Genossen vorgesehen waren, bekannt gemacht.
Als «erneuten Versuch staatlicher Repression gegen das freie, selbstverwaltete Theater Emprós» werten die Besetzer*innen in ihrer Erklärung vom 15. März den aufgerissenen Bürgersteig und die abermalige Kappung der Wasserzufuhr zu dem seit 2011 besetzten Theater. «Mit dem x-maligen Abschalten von Strom und Wasser will uns diese angeblich linke Regierung die Luft zum Atmen nehmen. Die gleiche Regierung, die im Morgengrauen offene soziale Zentren und besetzte selbstverwaltete Flüchtlingsunterkünfte räumen lässt. Also ehemalige linke ‹Genossen›, die all die entstandenen Gegenstrukturen gierig aufsaugten um sie als Steigleiter zur Macht zu benutzen, treffen nun die politischen Entscheidungen um sie zu vernichten. Wie im übrigen nicht anders zu erwarten, geht doch jeder ‹Aufstieg› zur Macht mit einem Abstieg in die politische Amoralität einher.»
Syriza biedert sich der Rechten an
Auch andere linke und anarchistische Organisationen machen Syriza und die Regierung von Ministerpräsident Aléxis Tsípras für die Rämungen verantwortlich. Die «Antiautoritäre Bewegung Athen» erinnert in ihrer Erklärung auf indymedia an die Räumungen im Juli 2016 in Thessaloníki im Anschluss an das antirassistische «No Border Camp». Die «Anarchistische Föderation» erklärt, dass die Entwicklung für sie keine Überraschung darstelle. «Radikalen Menschen ist und war die Rolle der Sozialdemokratie, ihrer immer währenden Taktiken und Lügen, schon seit Ewigkeiten bekannt.»
Da Syriza weder in den Verhandlungen mit der Troika noch im Alltagsleben der Griech*innen mit Erfolgen aufwarten kann, rangiert die Partei in Umfragen gerade noch bei 16 Prozent. Die Repression selbstverwalteter Strukturen dient nun vor allem dazu, Handlungsfähigkeit gegenüber dem Inneren Feind zu beweisen und sich für zukünftige Regierungsbündnisse zu empfehlen. Nur wenige Tage zuvor war es zu harten verbalen Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Opposition im Parlament gekommen. Der konservative Oppositionsführer Konstantínos Mitsotákis hatte wiederholt die Entlassung des «Ministers für Bürgerschutz» Níkos Tóskas gefordert, weil der seine Arbeit nicht gut mache. «Wenn ich an die Regierung komme, werde ich in Exárchia aufräumen», war in den griechischen Medien einer der meistzitierten Sätze von Mitsotákis. Anarchist*innen, und die von vielen Bewohner*innen des zentralen Athener Stadtteils als Besatzungsmacht wahrgenommene Polizei, liefern sich im traditionell linksgerichteten Exárchia seit Jahrzehnten immer wieder heftige Strassenschlachten.
Tóskas selbst verteidigte im Radiosender «Praktorío 104,9» die polizeilichen Räumungen als «voll und ganz gerechtfertigt»: «Das Gebäude in Zográfou gehört der Gemeinde, die es als kulturellen Raum nutzen will. Das zweite Gebäude gehört dem Roten Kreuz, und soll für unbegleitete Minderjährige genutzt werden.» Für Flüchtlinge sei es im Übrigen «sowieso besser, in staatlich organisierten Räumen zu sein». Kein Wort verlor Tóskas darüber, dass diese «staatlich organisierten Räume» in Griechenland oftmals nicht vorhanden sind oder die Geflüchteten unter absolut unmenschlichen Bedingungen in ihnen hausen müssen. Allein in Athen leben ca. 4000 Geflüchtete in besetzten, selbstverwalteten Strukturen.
Die ehemaligen Besetzer*innen der Villa Zográfou wiesen darauf hin, dass die geplante «öffentliche kulturelle Nutzung» der Villa und des umliegenden Parks, in Wirklichkeit als staatliches Konservatorium nur einem kleinen privilegiertem Teil der Bevölkerung zu Gute kommen werde.
Titelbild: Noch am Tag der Räumung (13.3.17) demonstrierten Tausende in Athen